Filmen im Schatten der Macht

Filmen im Schatten der Macht – Wie geht das?

Am 25. Oktober fand im Rahmen der Viennale Talks! in Kooperation mit der Viennale bei freiem Eintritt der  FC Gloria Salon im METRO Kinokulturhaus statt. Gefördert wurde der FC Gloria Salon durch die VdFS – Verwertungsgesellschaft der Filmschaffenden.

Anlass war Eva Neymanns neuester Film „When Lightning flashes over the sea“ – ein intimes Porträt des Lebens in der vom Krieg zerrütteten Stadt Odessa. Zur Diskussion standen die Folgen des Krieges, des Kriegsrechts und das filmische Arbeiten unter restriktiven Bedingungen; gemeinsam mit Olga Kosanović („Noch lange keine Lipizzaner“) und Lisa Polster (Bürglkopf“).

Wo anfangs die Regisseurinnen und ihre Filme kaum gemeinsame Berührungspunkte zu haben schienen, zeigten sich im Laufe der Diskussion viele Schnittpunkte. Dazu gehörten vor allem die persönliche Nähe zu den Protagonist:innen, das extreme Ausgeliefertsein fremden/willkürlichen Strukturen (und bürokratischen Mächten), sowie die enge Verflechtung mit dem eigenen Leben.

Eva Neymann, die seit vielen Jahren immer wieder in Odessa dreht und sich dieser Stadt zutiefst verbunden fühlt, schilderte die Veränderung der „öffentlichen“ Stimmung: Den beginnenden Rückzug der Menschen, die Zunahme von Ängsten, das Schwinden vertrauter Gespräche und den Verlust der Freiheitsgefühle. Dieser Wandel bestimmte nicht nur das filmische Arbeiten in der steten Angriffen ausgesetzten Stadt – sondern auch das Innere der Protagonist:inen, ihre Träume und Hoffnungen. Für die Zuschauer:innen mutet es bizarr an, im verdunkelten Odessa die Bewohner:innen dabei zu beobachten, wie sie versuchen, unter dröhnendem Sirenenalarm schützende Bunker zu erreichen; währenddessen kann die nächtliche Kamera nur die irrlichternden (Handy) Lampen erfassen und das Echo der eilenden Schritte. Am nächsten Tag wirken die Bewohner:innen wieder „als-wäre-nichts-geschehen“ und sind doch gleichzeitig fast „erstarrt“.

Eine ähnliche Veränderung spürte Lisa Polster in ihrem Film „Bürglkopf“. In diesem begegnete sie Asylwerbern, die auf einem Berg (dem Bürglkopf), auf unbestimmte Zeit auf behördliche Entscheidungen warten. Die Menschen leben wie ausgesetzt, auf etwa 1.300 Meter, umgeben von fast zweitausend Meter hohen, teils schneebedeckten Bergen – der Zeit und dem Raum entrissen. Eine offizielle Dreherlaubnis auf dem Gelände des „Rückreisezentrum“ wurde der Regisseurin verwehrt. Während der Dreharbeiten, berichtete Lisa Polster, wird deutlich, dass den teilweise noch im Asylverfahren befindlichen Flüchtlingen „empfohlen“ wurde, nicht mit dem Filmteam zu sprechen – es könnte Einfluss auf ihr Verfahren haben – so die Sorge der meisten. Eine Restriktion mit Folgen. Es wurde für die Regie immer schwieriger, Protagonisten zu einem Gespräch zu treffen. Schließlich fanden fast alle Interviews mit den Betroffenen unter hohen Tannen, auf Forstwegen oder Almwiesen statt. Inmitten dieses beeindruckenden Alpenpanoramas verstärkte genau dieses Umfeld die surreale Botschaft des Ausgesetzsein und der behördlichen Willkür.

In Zeiten der Restriktion werden Gerichtsbarkeit und Verwaltung oft zu unangreifbaren, labyrinthartigen Systemen. So kam Olga Kosanović, wie sie selbst sagt, unfreiwillig zu ihrem Filmstoff („Noch lange keine Lipizzaner“). Sie wollte Österreicherin werden, nachdem sie in Wien geboren und aufgewachsen war, in Österreich lebte, die Schulen besuchte, Matura in Wien machte und schließlich erfolgreich, mit Abschluss, im EU-Ausland studierte. Doch ihr Ansuchen wurde abgelehnt. „Dabei wollte ich, dass sich Österreich für mich genauso verantwortlich fühlt, wie ich mich für Österreich –  und vor allem wollte ich endlich auch wählen“, erklärt die Regisseurin. Ausgerechnet das prestigeträchtige Film-Studium im Ausland wird zum Fallstrick, denn damit hatte sie zu viele Tage im Ausland verbracht – der österreichische Pass rückte in weite Ferne. Aus der viele Seiten umfassenden behördlichen Ablehnung entwickelte Kosanovic ihren Film. Es entstand ein Stück von kafkaesker Qualität, denn wer um eine österreichische Staatsbürgerschaft ansucht, verstrickt sich fast zwangsläufig in einem strengen, engen Regelwerk – für viele in Österreich Geborene bleibt es undurchdringbar.

Kosanovic weist damit in der Diskussion auf ein bestehendes Ungleichgewicht hin. Einerseits wird von Menschen mit nicht-österreichischem Pass über Jahre hinweg absolute Loyalität, Regel- und Gesetzestreue verlangt, gleichzeitig wird ihnen – auch über Jahre hinweg – das Mitspracherecht an genau diesen Gesetzen verwehrt.

Wie eng unter restriktiven Bedingungen die gesetzlichen Regeln geschnürt werden, zeigt sich u.a. im Krieg. In der Ukraine brauchen alle Dreharbeiten im öffentlichen Raum eine offizielle Drehgenehmigung, zusätzlich erschwert die Dauerbedrohung das fiktionale Arbeiten. Spielfilme unter Sirenenalarm zu drehen, ist faktisch unmöglich, ebenso unmöglich ist es, verlässliche Drehpläne zu erstellen. So erlebt – im Gegensatz zur Fiktion – das dokumentarische Arbeiten einen großen Aufschwung.

Dabei ist die öffentliche Stimmung extrem polarisierend, nach dem Prinzip „Wenn du nicht für uns bist, bist du gegen uns.“ Für die deutsch-ukrainische Regisseurin Eva Neymann ein besonders komplizierter Balanceakt, denn sie gehört zur russisch-sprachigen Minderheit in der Ukraine. Russisch, das ist nicht nur die Sprache des Aggressors, sondern auch die Sprache der Bewohner:innen Odessas. Nun wurde per Gesetz verboten, über einen gewissen Prozentsatz hinaus, Russisch im Film zu sprechen (und zu hören); daher wird voraussichtlich „When Lightning Flashes Over The Sea“ niemals den Weg ins ukrainische Fernsehen finden – währenddessen tourt die erfolgreiche Produktion zu internationalen Festivals und kann in ganz Europa gesehen werden.

Es ist die Identitätsfrage, die Eva Neymann und Olga Kosanovic miteinander verbindet. Während Neymann aus einer jüdisch-ukrainischen Familie kommend, russisch sprechend, seit vielen Jahrzehnten in Deutschland lebt, versucht Kosanović als Österreicherin mit serbischem Pass zwischen den unterschiedlichen Identitäten zu navigieren. Inzwischen gilt Kosanović als „Zugesicherte Österreicherin“. Um nun tatsächlich den österreichischen Pass zu erhalten, muss sie ihren serbischen abgeben und zwischenzeitlich – über mehrere Wochen hinweg – eine gesetzlich verordnete „Staatenlosigkeit“ akzeptieren. Für die meisten Bewerber:innen ist dies eine besonders riskante und gefürchtete Phase des behördlich verordneten „Stillehaltens“.

Einigkeit herrscht unter den Regisseurinnen darüber, dass autoritäre Strömungen in der Demokratie stets mit Restriktionen gegenüber den besonders Verletzlichen, den Minderheiten und Flüchtlingen spürbar werden – und dass daraus u.a. die Verantwortung für dokumentarisches Arbeiten erwächst. So entstand auch „Bürglkopf“, wie Lisa Polster erzählt. Sie war bereits vor ihrem Filmstudium in der Flüchtlingshilfe engagiert – und wollte keinesfalls einen Film zum Thema „Flucht“ machen. Erst als ihr bewusst wurde, dass das „Rückreisezentrum“ Bürglkopf kaum jemand kannte und dass kaum jemand darüber berichtete oder über die Missstände diskutierte, spürte sie die Verantwortung: „Wenn ich es nicht mache, macht es niemand“.

So plädierten der Regisseurinnen im abschließenden Gespräch für Mut und Zivilcourage. Mehr denn je gilt es, die Angst vor möglichen Nachteilen abzulegen und sich tatsächlich für demokratische Rechte und Solidarität einzusetzen – und Missstände aufzuzeigen. Demokratische Strukturen sind keine Selbstverständlichkeit: Tretet in Dialoge, auch außerhalb eurer Bubble. Solidarisiert euch, bildet Banden, aber hinterfragt diese auch regelmäßig!

Text von Andrea Ernst (Moderation & Konzeption des FC Gloria Salons, gemeinsam mit Barbara Eppensteiner)

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