Rede von Karina Ressler zu den FC Gloria Filmpreisen 2018

Karina Ressler erhielt am 4.12.2018 die GLORIA, einen der vier FC GLORIA FILMPREISE 2018. Auf vielfachen Wunsch veröffentlichen wir hier ihre Rede, die sie im Rahmen der Preisgala gehalten hat.

KARINA RESSLERS REDE AM 4.12.2018

Ich freue mich sehr, dass ich diesen Preis bekommen habe, vielen vielen Dank für diese große Ehre!

Die Summe, die damit in Verbindung steht, würde ich gerne als Grundstock für eine Summer-School verwenden, in der junge Frauen an die Filmtechnik herangeführt werden – von digitalen Codices bis zur feinen Lichtsetzung, von Rhetoriktechnik bis zu Visual Efects. Ganz im Sinne von: „Move your ass and your mind will follow.“ Beginnen werde ich diese Summer-School-Woche damit, dass wir Computer und Datenträger aufschrauben und sezieren, um die Scheu zu verlieren vor all den technischen Instrumenten, um die Ingenieursmacht zu brechen, die als männliches Prinzip unsere Welt beherrscht.

Das Funktionieren von Dingen, Systemen und Gesellschaften haben wir Frauen allzulange abgegeben, allzulange haben wir die Algorithmen empfangen, anstatt sie zu kreieren. Die Ingenieurskunst, die uns monströse Brücken, Flüge zum Mond aber auch medizinische Operationswerkzeuge geschenkt hat, gehört in die Hände von Frauen, die Finanztechnik und die Technik der Politik sowieso!

Um zu begreifen, wie etwas funktioniert, muss es aufgebrochen, geöffnet, freigelegt werden. Es muss das Risiko eingegangen werden, dass bei der Untersuchung etwas kaputt geht. Das angeblich weibliche Talent des Bewahrens, Behütens, Konservierens, Ordnens, Verwaltens und Interpretierens steht dieser wissenschaftlichen Forschungs- und Risikokraft diametral gegenüber.

Ich meine nicht, dass Frauen zu Weltzerstörerinnen werden sollen, aber sie sollen in Systeme, Gegenstände und Narrative eindringen, um diese neu zu beleben und umzuformen zu einem neuen Welt- und Gesellschaftsverständnis. Algorithmen sind Handlungsanleitungen – und diese gehören umgeschrieben.

Dennoch müssen wir aber auch erkennen, wer und was der eigentliche Feind ist. „Frausein ist kein Programm“ – so die Worte von Johanna Dohnal. Es gibt Frauen in Machtpositionen, die dort eingesetzt wurden, weil sie Männern hervorragend zuarbeiten.

Lesen sie zum Beispiel den unterwürfigen Brief von Christine Lagarde, Chefin des Internationalen Währungsfonds, den sie 2013 an Nicolas Sarkozy geschrieben hat.
Sehen sie die vielen Frauen, die als Gatewatchers vor den Chefbüros sitzen, und deren Solidarität in erster Linie der alten Struktur gilt, die sagen: „Mein Chef ist hart und manchmal ungerecht, aber ich kann mit ihm / bei mir ist er streichelweich usw.“
Oder blicken wir auf die Frauen in unserer Regierung, die sich zu Handlangerinnen eines faschistoiden Gedankensystems machen lassen, das auf die Schwächsten heruntertritt und die Stärksten belohnt – diejenigen belohnt, die unseren Planeten und dessen Bewohnerinnen schänden, ausbeuten und missbrauchen. Die Idee, dass das Starke zurecht stark und das Schwache zurecht schwach sei, diese Ideologie kennen wir aus dem letzten Jahrhundert und sie ist zum Kotzen!

Wir dürfen die Frauen trotzdem und gerade deswegen nicht aus ihrer Verantwortung nehmen. Auf die Frage, ob ich mit Margaret Thatcher gehen würde und gegen einen marokkanischen Landarbeiter, antworte ich eindeutig: natürlich ist mir ein unterdrückter männlicher Arbeiter näher als eine Frau, die dem Finanzkapital zur Herrschaft verhilft. Wir müssen immer den Gesamtrahmen betrachten, in dem die jeweilige Hierarchie wirkt. „Wir sind zuerst Angehörige einer sozialen Klasse und dann erst Angehörige unseres Geschlechts“, schreibt die Schriftstellerin Virginie Despentes.

Sei es die ugandische Ärztin oder die chinesische Wanderarbeiterin, die New Yorker Brokerin oder das indigene Kindermädchen aus Mexiko, sie alle zeugen – innerhalb ihrer jeweiligen globalen Klasse – von der Leiter der Ungleichheiten. Wir müssen immer beides im Auge haben: die soziale Frage (also unsere politische Wirklichkeit) und die Frage der Singularität. Wir dürfen uns nicht von der Notwendigkeit ablenken lassen, dass der Kampf um eine gute Welt ein allumfassender sein muss – mit vereinten Kräften und in unterschiedlichen Allianzen – gegen einen kalten Zynismus, der den Verdrängungswettbewerb über alles stellt.

Deshalb müssen die Frauen auch die harten Techniken beherrschen, damit sie im großen Stil arbeiten können.

Frauen sollen laut sein, sich gegen den Wind stellen, peinlich sein, Lust am Konflikt haben, sich beschmutzen, Zerstörung riskieren, monströse Kamerakran-Fahrten und Massenszenen inszenieren oder in die größtmöglichen menschlichen Intimitäten vorstoßen, Frauen müssen erfinden und Spuren hinterlassen!